20 Jahre Stiftung Leuchtfeuer: Vortrag zum Thema Traumaintervention und -therapie

Heimspiel übernimmt traumapädagogische Wohngruppe
3. April 2019
20 Jahre Stiftung Leuchtfeuer: Traumaintervention und -therapie

Ein Vortrag von Lisa Dimanche und PD Dr. Maggie Schauer


„Gerade in der Jugendarbeit ist es sehr wichtig sich mit Traumata zu beschäftigen, da kaum ein Kind oder ein:e Jugendliche:r ohne Vorbelastungen dieser Art in die Jugendhilfe kommt.“
Lisa Dimanche
Am Dienstag den 13.04. durften wir (natürlich Corona-konform per Zoom) an einem interaktiven Vortrag von Lisa Dimanche, Psychologin (M.Sc.) und Teil des pädagogischen Leitungsteams bei Heimspiel, und PD Dr. Maggie Schauer zum Thema Traumaintervention und Traumatherapie teilnehmen. Neben ihrer Arbeit als Psychotraumatologin an der Uni Konstanz ist Maggie Schauer Mitbegründerin von Vivo International und der Narrativen Expositionstherapie(NET). Die beiden haben sich 2019 an der Uni Konstanz im Kurs zu dem Verfahren kennengelernt.

Begonnen hat Lisa Dimanche mit einer Einführung in die Trauma „Basics“ und der Frage „Was ist ein traumatisches Ereignis?“. Echte traumatische Ereignisse, auch „Big Ts“ genannt, sind zum Beispiel Naturkatastrophen, Unfälle, sexuelle Übergriffe, Kampfhandlungen oder Aufenthalt in Kriegsgebieten, oder der plötzliche Tod von Angehörigen. Was traumatische Ereignisse gemeinsam haben sind extreme Gefahr oder Lebensgefahr, Gefühle des Schreckens, Horror und Hilflosigkeit oder Verzweiflung und psychophysiologische Alarmreaktionen. Jedoch haben auch andere Ereignisse das Potential eine Traumafolgestörung auszulösen. Je nach Vorbelastung und Resilienz, können Menschen durch den Bausteineffekt auch nach mehreren vermeintlich harmlosen Ereignissen schon starke Belastungsreaktionen entwickeln.

Während Anfang des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit dem Störungsbild noch von „traumatischer Hysterie“ (Freud und Breuer) und „Schreckneurose“ (Kraepelin) gesprochen wurde, wird seit den 1980er Jahren ein medizinisch-psychologischer Ansatz verfolgt, in dem Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) im DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) und ICD (International Classification of Diseases) diagnostiziert werden.

Kriterien einer Diagnose nach DSM sind unter der Voraussetzung des mindestens einen Monat anhaltenden, klinisch bedeutsamen Leidens*: (A) ein traumatisches Ereignis, (B) das Wiedererleben (zum Beispiel durch Flashbacks, Albträume, Dissoziation), (C) Übererregung (Hyperarousal), (D) Vermeidung und (E) psychosomatische Kriterien wie Schlafstörungen oder Schmerzen.

Es ist unmöglich über die Entstehung von Traumata zu sprechen, ohne von Gedächtnis zu sprechen, denn Menschen mit einer Traumafolgestörung** haben die traumatische Szene nie verlassen, sondern stecken im Ereignis fest. Die Bedrohung ist für sie nicht vorbei und sie bleiben weiterhin im „Überlebensmodus“. Erinnerungen sind im Bezug zu traumatischen Situationen nicht mehr räumlich und zeitlich gebunden.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Symptome normale Reaktionen auf abnormale Ereignisse (traumatische Situationen) sind. Es gibt drei Ebenen des Störungsbildes. Auf affektiver Ebene finden das Wiedererleben (Albträume, Flashbacks, repetitives Spielen) und starke Emotionen, wie Furcht, Angespanntheit, Aggression und Reizbarkeit, Trauer und emotionale Taubheit statt. Auf kognitiver Ebene entstehen vor allem Vermeidung, Grübeln und ein negatives Selbst- und Weltbild. Auf der dritten und letzten Ebene, der Verhaltensebene lassen sich häufig aggressives und/ oder sexualisiertes Verhalten beobachten, selbstverletzendes Verhalten, Substanzmissbrauch, oder der Verlust bereits erworbener Fähigkeiten.

Traumafolgestörungen sind ein Risiko für das Individuum und die Gesellschaft. Für das Individuum bestehen die Risiken vor allem in komorbiden und somatischen psychischen Erkrankungen, Schulabbrüchen, Arbeitslosigkeit, Beziehungsproblemen und vielen mehr. Für die Gesellschaft entstehen aus Traumafolgestörungen hohe wirtschaftliche Kosten durch Hilfen der Jugendhilfe und des Gesundheitssystems und den Ausfall der Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt. Eine Intervention lohnt sich somit immer.

Um den Betroffenen zu helfen bedarf es einer traumasensible Pädagogik. Diese beinhaltet immer eine Psychoedukation, also den Patient:innen einen Überblick und Informationen über ihren Zustand zu geben und ihnen zu erklären, dass ihre Reaktionen und ihr Verhalten völlig normal sind. Symptome sind eine Überlebensstrategie, die vielleicht nicht mehr angemessen ist und die angepasst werden muss, aber die Person ist ein:e Überlebende:r, kein Opfer. Struktur,Stabilität und Vorhersehbarkeit sind wichtig für die Klient:innen und ohne Absprachen sollten so wenig Änderungen wie möglich vorgenommen werden.

Für eine traumasensible Pädagogik ist es außerdem wichtig die Risiko- und Schutzfaktoren des:der Klient:in zu beurteilen (bei Einzug z.B.) – darunter fallen zum Beispiel die finanzielle Situation, das Helfernetzwerk, oder die familiäre Situation.

* klinisch bedeutsam = der Betroffene Mensch leidet stark/ ist davon stark beeinträchtigt
** Lieber den Begriff Traumafolgestörung benutzen als PTBS (umfasst nicht alle Störungen, die auftreten können)

Im zweiten Teil des Vortrags stellte Dr. Maggie Schauer die die Narrative Expositionstherapie (NET) als eine Variante der Therapie von Traumafolgestörungen vor.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ansätzen sagt die NET, dass eine Therapie auch dann funktionieren kann, wenn die Situation noch nicht entspannt und stabil ist. So können beispielsweise auch süchtige Menschen therapiert werden, auch wenn sie noch nicht clean sind und man kann jemanden auch im Kriegsgebiet therapieren, „wenn die Bomben noch fallen“.

Praktisch nimmt die NET die aktive, chronologische Rekonstruktion des autobiographisch expliziten, episodischen Gedächtnisses vor. Innerhalb der Therapie findet eine verlängerte Exposition der „Hot Spots“ und eine umfassende Aktivierung des Angstgedächtnisses statt, um eine Reorganisation des emotionalen Netzwerkes zu erlauben. Hierbei wird eine Bedeutungszuschreibung und Integration der kognitiven, emotionalen, physiologischen und somato-sensorischen Reaktionen in den damaligen raum zeitlichen Lebenskontext vorgenommen. Dadurch soll eine kognitive Neubewertung von Verhaltensmustern und eine Neuinterpretation der Ereignisse und deren Auswirkungen auf das gesamte Leben ermöglicht werden.

Einen Eindruck wie eine Narrative Expositionstherapie in der Praxis aussieht erhaltet ihr hier.